Sherlock Holmes - Background to a Phenomenon (Header)
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2. Sherlock Holmes – Figur mit Methode

2.2. Charakteristik zu Sherlock Holmes

Ein Charakterportrait von Sherlock Holmes als beispielhaftem Ermittler und Hauptfigur. Mit ausgewählten Original-Textbeispielen aus A.C. Doyles Erzählungen.

Der Detektiv und seine Methode sind tatsächlich fast untrennbar miteinander verwoben: Es liegt in der Natur der Sache, dass es eines besonderen Charakters bedarf, um den zahlreichen Anforderungen der Methode nachzukommen und sie bei einer Ermittlung durchweg richtig anzuwenden .

Aus textkritischer Sicht kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen: Ohne seine Methode würde Sherlock Holmes, seiner exzentrischen Züge beraubt, kaum als runde, ausgestaltete Figur gelten können. Die Methode würde hingegen nur als übertriebene Erfindung eines beliebigen Schriftstellers erscheinen, wenn sie nicht durch eine so charismatische Figur wie Holmes dargestellt werden würde(1).

Aufgrund dieses Wechselspiels charakterisiert sich Sherlock Holmes zuallererst durch seine geistigen Fähigkeiten. In den ersten Texten des Werkkanons (2) ist die Rede davon, dass Sherlock Holmes eine vordringlich wissenschaftlich ausgerichtete Persönlichkeit und damit für Gefühle größtenteils unempfänglich sei, ein Mann, der „soweit ich weiß die beste Denk- und Beobachtungsmaschine war, die die Welt je gesehen hat, der aber als Liebender an ganz unpassender Stelle gestanden hätte” (n. Watson): Etwas Maschinenhaftes hat er tatsächlich in seiner planvollen Überlegtheit, seiner Genauigkeit und seiner Verlässlichkeit - auch in seinen regelmäßigen Gewohnheiten und seiner Effektivität. Um in einem Fall zum Erfolg zu gelangen, ist Holmes sogar in der Lage, menschliche Grundbedürfnisse,  wie Essen und Schlafen, die Automaten eben fremd sind, zu minimieren.(3) - wie ein begeisterter Künstler widmet er sich voll und ganz seinem Schaffen als solches. (4). Seine herausragende Begabung verengt seinen Blick in mehrerlei Hinsicht und leitet ihn so durch den komplizierten Prozess der Deduktion. (5)

Diese charakteristische Konzentration auf ein einziges Ziel weist ihm eine Sonderstellung zu: In der Regel vertrauen ihm seine Zeitgenossen, auch bei der Regelung ihrer Angelegenheiten, während sie zugleich diesem Freak mit Skepsis begegnen - einem schrägen Typen, dessen Lebensweise sich in so vielem von ihrer eigenen unterscheidet und der obendrein gar noch übernatürliche Fähigkeiten zu besitzen scheint.  (6) Der Detektiv seinerseits fühlt sich von seiner Umgebung oft angeödet: Das Leben hat einem Meisterdenker wie ihm offenbar nicht viel zu bieten(7) und zeitweise empfindet er nichts als  Verachtung für seine vergleichsweise begriffsstutzigen  Mitmenschen (8)

Nichtsdestoweniger ist Holmes im Werkkanon weit mehr als die  „Beobachtungsmaschine”, als die er allgemein bekannt ist: Er handelt voller Elan, hat eigene Vorlieben und Abneigungen und besitzt allem voran einen leicht arroganten Humor. Für (Literatur-)Kritiker und Fans gleichermaßen am wichtigsten ist jedoch, dass Holmes alles andere als ein kalter Nihilist ist: vielmehr kann er gegenüber Klienten ernsthaft mitfühlend und ein zuvorkommender Gentleman sein und er erweist sich in den meisten seiner Entscheidungen als verantwortungsvoll. (9) Das intellektuelle Genie hat darum auf jeden Fall sehr menschliche Züge, die diesen ‚Menschen’ lebendig werden lassen – in der Fantasie seiner gebannten Leser.


(1)
Da eine vollständige Charakterisierung von Sherlock Holmes den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde, werde ich im Folgenden lediglich die herausragendsten Charakterzüge anführen. [Text]
(2)
Verständlicherweise gibt es hervorragende Charakterisierungen in der allerersten Sherlock Holmes- (Kurz-) Geschichte  "A Scandal in Bohemia" und dem ersten der Romane, A Study in Scarlet, die ich mehrfach zitiere. [Text]
(3)
Sherlock Holmes was a man, however, who, when he had an unsolved problem upon his mind, would go for days, […] without rest, turning it over, […] looking at it from every point of view until he had [taken some kind of decision]. It was soon evident to me that he was now preparing for an all-night sitting.(aus: “The Man with the Twisted Lip”).
(4)
Holmes, however, like all great artists, lived for his art's sake […]. So unworldly was he[…] that he frequently refused his help to the powerful and wealthy […], while he would devote weeks of most intense application to the affairs of some humble client whose case presented those strange and dramatic qualities which […] challenged his ingenuity.(exemplification from: “The Adventure of the Black Peter”)
(5)
“[…]‘ It is one of the curses of a mind with a turn like mine that I must look at everything with reference to my own special subject. […]’ [remarked Holmes gravely] - ‘Good heavens!’ I cried. ‘Who would associate crime with these dear old homesteads [we're just passing]?’” (Textbeispiel aus: “The Adventure of the Copper Breaches”) [Text]
(6)
“I don’t think you need alarm yourself,” said I. “I have usually found that there was method in his madness.” – “Some folk might say there was madness in his method,” muttered the inspector. (aus: “The Reigate Puzzle”).
(7)
“[…] The days of the great cases are past. Man, or at least criminal man, has lost all enterprise and originality. […]”(aus: “The Adventure of the Copper Breaches”)
(8)
“Pshaw, my dear fellow, what do the public, the great unobservant public, who could hardly tell a weaver by his tooth […] care about the finer shades of analysis and deduction! […]”  (Ebd.) [Text]
(9)
Siehe auch: Kapitel 3.2. zur Gerechtigkeitsproblematik. [Text]
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www.text-traeger.de · Autor: Paul - Christoph Trüper (Deutsch: 2009).
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